Ich steige aus der Dusche und mein Blick fällt auf den Spiegel. Leider. Sofort befiehlt mir meine innere Stimme im gleichen penetranten Tonfall, wie mein Navi, wenn ich mich verfahren habe: "Warning, Warning-Cellulite! Wenn möglich, bitte Sport treiben!" Also besuche ich eine Jazz-Dance-Probestunde beim Tanzclub um die Ecke. Schließlich haben Tänzerinnen eine beneidenswerte Figur, wahnsinnig durchtrainiert und trotzdem feminin und außerdem kann es nicht allzu schwierig sein, vom typischen Disco-Ich-Schüttel-Meinen-Po auf ein paar Schrittkombinationen umzusteigen.
In der Umkleide bin ich noch voller Vorfreude, mache aber bald Bekanntschaft mit Vertretern der Tänzer-Spezies. Diese vermeiden es mich zu bemerken und ich muss leider sehr schnell feststellen, dass mein Schlabber-Jogging-Look hier nicht gerade angesagt ist. Vielmehr werden die muskulösen Beine mit hautengen Jazz-Pants bedeckt, den Oberkörper ziert meist ein Teil, das nicht mehr Stoff hat als ein BH. Underdressed beim Sport, das muss mir erst einmal Jemand nachmachen!
Doch tapfer folge ich den Anderen in die Halle, in der die Lehrerin, klein, dürr und mit zu einem strengen Dutt gebundenen schwarzen Haaren, bereits wartet. Sie klatscht in die Hände und ich stelle mich schnell ganz hinten in die Reihe. Schon geht es los mit den ersten Schrittkombinationen. Zwar muss ich mich ziemlich konzentrieren um mit zu kommen, doch als die Musik verstummt, ziehe ich insgeheim den Hut vor mir. Chapeau, bin ich gut!
Dann geht es mit Dehnübungen los. Die übrigen Kursteilnehmer gleiten grazil in den Spagat und legen sich mit dem gesamten Oberkörper auf den Boden, während ich eine leichte Spreizung meiner Beine und eine ebenso schwache Krümmung meines Rückens zu Stande bringe. Spötitische Blicke durchboren mich. Von vorne, von hinten, von überall her. "Hallo, ich kann gar nichts dafür, schließlich habe ich eine verkürzte hintere Oberschenkelmuskulatur!" möchte ich rufen, lasse es aber bleiben. So haben die Glotzer weiterhin keine Ahnung, dass ich unter normalen Umständen gelenkig wäre, wie ein Gummimensch. Leider ist die Stunde nach dem Dehnen nicht vorbei, sondern es geht erst richtig los. "Padeborrée dingsda!" Brüllt die Lehrerin und der ganze Saal bewegt sich mit kleinen Tippelschritten. Der ganze Saal? Nein, nicht der Ganze. Ein kleines verlorenes Mädchen hat nämlich nur Kartoffelpüree mit Klößen verstanden und bleibt wie angewurzelt stehen. Am liebsten würde ich mich auf der Stelle eingraben. Aber der Höhepunkt der Peinlichkeit wird erst gegen Ende der Stunde erreicht - dramaturgisch äußerst wertvoll. Ich bin mittlerweile so neben der Spur, da ist es mir schon fast egal, dass den Tanz nun jeder einzeln vormachen muss. Während bei allen Anderen nur kleine Korrekturen notwendig sind, habe ich alle Schritte vergessen und stolpere über das Parkett. Na immerhin führt meine Vorstellung zur Erheiterung der Menge. Dann hat diese Tanzstunde wenigstens etwas Gutes. Aber eines weiß ich sicher: Das nächste Mal gehe ich einfach nur Joggen. Alleine!
Meine Vorsätze sind allerdings da, um gebrochen zu werden. Für eine Tanzstunde bei diesem Genie würde ich alles vergessen, was mir die Jazz-Lehrerin angetan hat...
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